DDR-Atomkraftgegner: „Die Wahrheit stirbt zuerst“

 

DDR-Atomkraftgegner: „Die Wahrheit stirbt zuerst“

Ulrich Töpfer: „Atomkraft galt in der DDR als sauber und war Inbegriff des technischen Fortschritts. Dagegen durfte man nicht sein“. Foto: Alexander Volkmann

Ulrich Töpfer (57) engagierte sich in der DDR unter dem Dach der Kirche gegen Atomkraft. Mittlerweile ist er der Landesgeschäftsführer des Bundes evangelischer Jugend in Mitteldeutschland. Mit ihm sprach Angelika Reiser-Fischer.

Die Anti-Atomkraft-Bewegung entstand im Westen in den 70er Jahren. Und im Osten?

Damals öffnete sich die Kirche in der DDR für viele Themen, auch für Umweltprobleme, es gab eine aktive Friedensbewegung, es war die Zeit der atomaren Aufrüstung. Ich erinnere an „Frieden schaffen ohne Waffen“ und die „Schwerter zu Pflugscharen“. Darin eingebettet ging es um Zeichen gegen die Atomkraft.

Wie groß war die Bewegung?

In Thüringen kannten wir uns alle. Der Grund lag aber nicht darin, dass es nur drei Atomkraftwerke in der DDR gab.

Also wenig Interesse bei den Menschen?

Nein, aber in Thüringen richtete sich der Widerstand insbesondere gegen den Uranbergbau bei Ronneburg. Über die Schäden, die die Bergleute dort erlitten und die Gefahren, die von den Halden ausging, gab es kaum Informationen. Auch zum Transport von Brennstäben in Endlager wussten wir nichts und auch nicht, wann und wo die Züge mit dem Uran in die Sowjetunion fuhren.

Also ging das Konzept auf, die Leute durch Nicht-Information ruhigzustellen?

Atomkraft galt in der DDR als sauber und war Inbegriff des technischen Fortschritts. Dagegen durfte man nicht sein. Wer gegen Atomkraft mobil machte, geriet sofort unter Verdacht, die Sicherheitsorgane wurden aktiv. Das schreckte. Allein auf mich waren 30 Sicherheitsleute angesetzt, ich gehörte in Meiningen dem Montagskreis an, wo sich Südthüringer Atomkraftgegner sammelten. Wir hefteten uns als Zeichen unserer Gesinnung rote Sterne ans Revers. Dabei hatten wir nicht mal Kontakt zur Anti-Atom-Bewegung im Westen.

Was konnten Sie tun?

Ich erinnere mich an Schweigemärsche in Meiningen, an Veranstaltungen, in denen wir versuchten, über Gefahren aufzuklären. Es gab Plakate, Friedensgebete, wir versuchten mit anderen Gruppen in der DDR Kontakt zu halten. Michael Beleites, bis vor Kurzem Stasi-Unterlagenbeauftragter in Sachsen, gehörte zu unserem Kreis und gab unter dem Dach der Kirche ein Buch heraus. „Pechblende“ befasste sich mit dem Uranbergbau in der DDR. Es gab vonseiten des Staates großen Druck, es zurückzunehmen.

Das Reaktorunglück von Tschernobyl war gewiss ein Einschnitt.

Die Wahrheit stirbt bei solchen Katastrophen zuerst. Deshalb gab es plötzlich ein großes Bedürfnis nach Information. Bis heute kritisiere ich, wie die Menschen über die Atomkraft im Unklaren gelassen werden, man die Situation beschönigt. Nach der Wende fragte ich in meinem Kreistag in Meiningen nach dem Katastrophenplan, wenn im Kraftwerk Grafenrheinfeld etwas passiert. Auf die Antwort warte ich immer noch.

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